Lasst uns gemeinsamen einen kritischen Blick auf die Mythen rund um das Lipödem und populäre Statements werfen.
Das Lipödem ist in aller Munde!
Patientenberichte und bewegende Geschichten, genauso wie Studien und medizinische Artikel über das Krankheitsbild Lipödem sind offline wie online zu finden. Die Fülle an Informationen um das Krankheitsbild Lipödem sind mittlerweile umfangreich. Das sah bis vor ein paar Jahren jedoch noch ganz anders aus! Da war es kaum vorstellbar, mit ein paar Mausklicks online auf Artikel und Informationen rund um das Thema Lipödem versorgt zu sein. Von Mode Tipps bis zu Pflege Hinweisen ist alles dabei. Alles, was Betroffene eben interessiert.
Aus meinem Interesse ist dieser Fundus an Material entstanden. Frauen, die sich miteinander über die gemeinsame Erkrankung austauschen wollten. Die ihren Erfahrungsschatz teilen und erweitern wollten. Die vor allem verstehen wollten was mit ihnen und ihrem Körper geschieht.
Hilfe zur Selbsthilfe.
Doch, bleibt die Frage: Viel hilft viel?
Wie „gut“ und inhaltlich differenziert sind die Informationen aus den unterschiedlichen Quellen eigentlich?
Was ist dran an den vielen Informationen rund um das Thema Lipödem?
Lasst uns daher einen genaueren Blick auf so manche Fakten & Mythen rund um das Thema Lipödem werfen. Und damit für etwas mehr Klarheit und Durchblick im Informationsdschungel Lipödem sorgen.
Abnehmen mit Lipödem
Abnehmen ist so ein Thema. Ich kenne keine Frau, die nicht schon mal eine Diät ausprobiert hat. Gegen das Hüftgold, gegen die kleinen Röllchen, für den summer body – für all das plagen sich Frauen mit Diäten herum. Schwieriger wird es natürlich, wenn eine chronische Fettverteilungsstörung (das Lipödem) hinzu kommt.
Gewichtsreduktion mit Lipödem ist da ein besonders spannendes Themengebiet.
Langsam. Schrittweise. Und vor allem kontrolliert.
Es erfordert viel Disziplin und Durchhaltevermögen. Genauso wie eine gute Prise Frustrationstoleranz. Denn die berühmt berüchtigten Gewichtsplateaus sind auch mir dabei mehr als einmal begegnet.
Es hält sich sogar die Meinung: mit Lipödem ist kannst du nicht abnehmen!
Wie habe ich also mein Gewicht reduzieren können trotz Lipödem?
Vermutlich habe ich nicht am krankhaften Lipödem-Fett abgenommen, sondern viel mehr am adipösen Fett. Denn Adipositas ist eine häufige Begleiterscheinung bei Lipödem. Denn jeder von uns hat gesunde Fettreserven. Die sich wiederum zusätzlich auf und um das kranke Lipödemfett verteilen können. Adipöses Fett ist dann wie ein zusätzliches Polster zum Lipödemfett.
Wenn ich von Abnehmen bzw. Gewichtsreduktion spreche, bedeutet dies, dass ich vermutlich an meinem adipösen „Wohlstands-Fett“ gearbeitet habe und dieses reduzieren konnte.
Bei Übergewicht aktiv zu werden und gesund das Gewicht zu reduzieren ist sicherlich eine gute Sache. Eine Ernährungsumstellung kann dabei unterstützen. Jede Ernährungsumstellung und geplante Gewichtsreduktion sollte zuvor mit einem Arzt oder einer Ärztin besprochen werden!
Das Lip-ÖDEM
Das Lipödem ist ein „Ödem-Problem“ lautet die gängige Expertenmeinung in der Lymphologie. Die meisten deutschen Autoren konzentrieren sich bei ihren Publikationen auf das Wörtchen Ödem beim Lip-ÖDEM.
Erst einmal nicht vekehrt, denn vom Griechischen abgeleitete Ödem bedeutet zunächst nicht viel mehr in Deutsch als Schwellung.
Schwillt ein Körperbereich aufgrund eines Ödems an, sammelt sich dort Flüßigkeit im Gewebe. Was von außen betrachtet als Schwellung wahrgenommen wird. Früher nannte man diese Köfperveränderung durch Flüßigkeitsansammlungen daher auch „Wassersucht“-
Naheliegend ist daher auch die konservative Behandlung des Ödems zur Entstauung mit manueller Lymphdrainage als notwendige Standardtherapie. Da das „Ziel der Behandlung die Ödembeseitung ist.“
Doch was ist die anzunehmende Folge eines nicht behandelten Ödems beim Lipödem?
Cornely zufolge kommt es bei einem Lipödem „zu einer Überproduktion von Lymphflüßigkeit in den Armen und Beinen, die sich wiederum in einer Druckschmerzhaftigkeit äußert“. Grund dafür ist eine „Überschwemmung des Fettgewebes mit Lymphe“, schreibt Cornely ebenfalls.
Für Patient:innen eine reelle Aussicht auf Linderung ihrer Symptome und einer Steigerung der Lebensqualität wäre anzunehmen.
Jedoch gibt es für das „Ödem im Lipödem“ keine wissenschaftliche Evidenz.
Die genannte „Überschwemmung des Fettgewebes mit Lymphe“ ist bisher durch medizinische Verfahren nicht nachweisbar.
Es sollte an dieser Stelle jedoch nciht außer Betracht gelassen werden, dass neben dem reinen Lipödem es auch noch die Krankheitsbilder Lymphödem und die Mischform Lip-Lymphödem gibt. Welche noch weitere Besonderheiten in ihren einzelnen Krankheitsformen und -verläufen mit sich bringen und nicht immer ganz trennscharf voneinander abgegrenzt werden (können) in der Praxis.
Lipödem & Psyche
Das Lipödem ist eine unschöne Erkrankung.
Damit gemeint ist nicht nur der leicht erkennbare, optische Aspekt.
Viele Lipödem-Patientinnen leiden unter einer Vielzahl emotional und psychisch aufwühlenden Faktoren durch das Lipödem.
Dazu gehört die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper, der durch die krankheitsbedingte Disproportion und der damit verbundenen sozialen Stigmatisierung einher geht.
Selbstakzeptanz oder Selbstliebe sind ausgeschlossen.
Viele Patient:innen haben große Schwierigkeiten mit dem Lipödem-assoziierten Schmerz. Dem Brennen und Kribbeln. Dem gedanken-beherrschenden Schmerz, der nicht zu behandeln, sondern nur auszuhalten ist.
Der immensen Berührungs- und Druckempfindlichkeit des Gewebes.
Der bleiernen Schwere in den betroffenen Körperstellen, genauso wie der beschämenden Bewegungseinschränkung durch Schmerz und/oder Extremitäten-Volumen.
Gerade durch das Missverständnis oder fehlenden Kenntnis über das Krankheitsbild von Ärzten und die damit einhergehenden Probleme sehen sich die Patient:innen mit erlebter Ohnmacht und Hilflosigkeit konfrontiert.
All diese Faktoren haben ihre Auswirkung auf die psychische Gesundheit der Patient:innen. Sicherlich ist auch hierbei die individuelle Wahrnehmung und Schwere des Krankheitsbildes unterschiedlich. Trotzdem drängt sich die Frage auf, ob ein Lipödem psychisch krank macht.
Dieser Frage sind bereits Mediziner nachgegangen und haben wiederholt versucht mit ihren Untersuchungen Licht ins Dunkel dieser Frage zu bringen. Bisher ohne eindeutige Ergebnisse.
Die empirische Evidenz ist derzeit unzureichend.
Es bleibt die Annahme bestehen, dass „statistische Zusammenhänge im Sinne einer Korrelation oft fälschlicherweise als Kausalität interpretiert“ werden.
Das Lipödem ist daher keine psychische Störung, dass psychische Faktoren die Wahrnehmung Lipödem-bedingter Schmerzen beeinflusst, ist naheliegend.
Kompression ist Kompression
Ein Fehler, der auch mir begegnet ist als ich die ersten Male mit dem medizinischen Hilfsmittel Kompression versorgt wurde, war, dass ich mit Rundstrick statt Flachstrick versorgt wurde.
Doch was unterscheidet diese beiden Kompressionsvarianten voneinander?
Zunächst einmal sind dies zwei grundsätzlich verschiedene Verfahren zur Herstellung von Kompression.
Rundgestrickte Kompression wird vor allem bei Venenerkrankungen einsetzt.
Das Material ist daher eher dehnbar (langzügig) und hat einen, zur flachstrickten Kompression, vergleichsweise niedrigen Arbeitsdruck.
Flachgestrickte Kompression hingegen hat einen hohen Arbeitsdruck. Das Material ist weniger bis kaum dehnbar (kurzzügig).
Bei dieser Art der Kompression sind Faktoren wie Arbeitsdruck, Wandstabilität und Mikromassage von Bedeutung. Diese Kombination der Faktoren von Flachstrick haben eine positive Wirkung bei der Ödemtherapie.
Für die konservative Behandlung des Lipödems sind daher flachgestrickte Versorgungen geeignet.
Rundgestrickte Kompression hat auf das Lipödem und die davon ausgehenden Symptome so gut wie keinerlei Effekt aufgrund der fehlenden Wandstabilität.
Meiner Erfahrung nach zerreißen Rundstrick-Kompressionen sogar sehr zeitnah nach erstem Gebrauch durch die starke Belastung des Lipödems auf das Gestrick.
Mehr Infos rund um das Thema Lipödem findet ihr auf der OPTICA Website.
Dieser Post ist in Kooperation mit OPTICA Abrechnungszentrum entstanden.
Foto: Sonja Lipka
Quellen:
Cornely M. Pathophysiologie. Das Lipödem an Armen und Beinen, Teil 1. Phlebologie 2011;(1):21-25
Meier-Vollrath I., Schneider W., Schmeller W., Lipödem: Verbesserte Lebensqualität durch Therapiekombination. Dtsch Arztebl 2005;102(15):A-1061/B-892/C-840.
Bertsch T., Erbacher G. Lipödem – Mythen und Fakten, Teil 2. Phlebologie 2018;47:120-126.
https://www.medi.de/diagnose-therapie/lipoedem/ernaehrung/